Fast 40 Prozent der Gemeinden werden wohl 2025 von keiner Lokalzeitung mehr beliefert. Wie könnte die öffentliche Hand helfen?
Von Leif Kramp und Stephan Weichert
„Democracy Dies in Darkness“: Das ist nicht der Titel eines Batman-Films, wie, Dean Baquet einst spottetem der ehemalige Chefredakteur der New York Times. Der eingängige Slogan prangt seit 2017 auf der Website des Konkurrenzblatts Washington Post: Spätestens seit der Präsidentschaft Donald Trumps, der die öffentliche Verbreitung von Lügen zu seinem Markenzeichen gemacht hat, eine Kampfansage gegen den politischen Populismus und, mehr noch, ein klares Bekenntnis zur Verteidigung der Demokratie.
Trotz anfänglicher Skepsis konnte Multimilliardär Jeff Bezos nach seiner Übernahme der Post vor über einem Jahrzehnt durch nennenswerte Investitionen den Einfluss der Post ins digitale Zeitalter hinüberretten. Inzwischen wünscht sich wohl fast jede US-Zeitung insgeheim einen Mäzen wie Jeff Bezos herbei, der die Taschen voller Dollars hat und den drohenden Zeitungspleiten eine beherzte Innovationsoffensive entgegensetzt.
Selbst bei nüchterner Betrachtung der US-Medienlandschaft, ergibt sich ein Bild des Grauens. 70 Millionen Amerikaner können ihren Durst nach Nachrichten nur noch eingeschränkt löschen – so viele „News Deserts“ gibt es derzeit, also Bezirke mit einer oder gar keiner Tageszeitung. Vor dem Hintergrund der Zeitungstrends in den USA und andernorts in Europa, aber auch wegen steigender Logistik-, Papier- und Energiekosten beklagen hiesige Spitzenpolitiker eine mögliche Verrohung der „demokratischen Daseinsvorsorge“, wie die SPD-Abgeordneten Heike Raab, Verena Hubertz und Dirk Wiese in der Frankfurter Allgemeinen. Ihnen geht es um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen und deren baldige Umsetzung. Vor allem konzentrieren sich die Forderungen derzeit auf die „letzte Meile“ bei der Zustellung von Abonnement-Zeitungen unter Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit.
Auch die deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger hoffen nach der Zusage der Bundesregierung auf eine Branchenförderung. Entsprechend ungeduldig treten deren Verbände auf und drängen auf rasche Pressehilfe. Carina Brinkmann vom Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) sieht „eine große Gefahr für die Versorgung der Bevölkerung mit kostenlosen Wochenzeitungen“. Brinkmann glaubt: „Fallen kostenlose Wochenzeitungen weg, ist dies aufgrund der ökonomischen Verflechtungen eine zusätzliche Gefahr für regionale Tageszeitungen.“
Nicht erst seit gestern schrillen beim BDZV ebenfalls die Alarmglocken. Anja Pasquay weist darauf hin, dass „eine Besteuerung der redaktionellen journalistischen Produkte mit null Prozent“ hilfreich sein könnte – „so wie übrigens auch der ÖRR ja mit null Prozent besteuert wird“, sagt die Kommunikationsleiterin des BDZV. Nach dem ungelenken Abgang von Mathias Döpfner als BDZV-Präsident konzentriert sich der Verband nun auf eine neue Parole: „Mehrwertsteuer Null.“
Doch einig ist sich die Branche nicht: Ein Vorstoß des Bundeministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Förderung der Transformation der Pressewirtschaft mit 180 Millionen Euro weckte den Unmut von Digitalpublishern wie Krautreporter und Correctiv, die darin eine Wettbewerbsverzerrung und sogar eine „staatliche Subventionierung“ der Geschäftsmodelle gewinnorientierter „Druckverlage“ sahen. Man drohte mit verfassungsrechtlichen Klagen, weil dies „den digitalen Medien schade“. Die Situation bleibt vertrackt, bis heute: Es gibt zahllose kleine und mittelständische Verlage, die inzwischen mit dem Rücken zur Wand stehen und dringend finanzielle Unterstützung benötigen. Und eine lebendige Startup-Kultur für journalistische Neugründungen im Lokalen, die den Abwärtstrend abmildern könnte, hat sich in Deutschland bislang ebenfalls kaum entwickeln können.
Dass neue Lösungen gefragt sind, weil die einstigen Geschäftsmodelle erodieren, glauben nicht zuletzt die Freischreiber, der mit aktuell rund 900 Mitgliedern größte Verband freischaffender Journalisten in Deutschland: „Deshalb begeben sich immer mehr Medienhäuser auf Sparkurs oder verstricken sich in heikle Abhängigkeiten: Sie lassen Pressereisen von Unternehmen finanzieren, veröffentlichen als Journalismus getarnte PR-Beiträge und Advertorials oder verzichten gleich ganz auf zeitaufwändige und kostenintensive Recherchen“, sagt Vorständin Anja Reiter. Dieser Kurs schwäche „das kostbarste Gut der Medien: die Glaubwürdigkeit“.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird nicht besteuert. Warum dann private Medien?
Wie aber kann die öffentliche Hand den Medien helfen, ohne noch mehr Schaden anzurichten? Reiter sagt im Namen des Vorstands, dass „staatliche Journalismusförderung auf keinen Fall mit der Gießkanne passieren“ dürfe, weil sie auf diese Weise wenig zukunftsweisende Unternehmungen am Leben hält. Auch direkte Subventionen lehnen die Freischreiber ab, „um Einflussnahme zu vermeiden“. Lars Hansen, Vorsitzender der Deutschen Journalistenunion in ver.di bemängelt: „Es gibt keine Patentlösung und die meisten bisher angedachten Maßnahmen, wie ,öffentlich-rechtliche Zeitung‘ oder Vertriebssubventionen für Lokal- und Regionalzeitungen sind bislang nicht über das Andenken hinaus elaboriert worden.“
Einen weiteren Vorschlag unterbreiteten die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Bündnis90/Die Grünen) und der Kölner Medienrechtler Karl-E. Hain in der Frankfurter Allgemeinen. Beide plädieren dafür, innovative Strukturen, statt überholter Vertriebswege zu fördern, weil letzteres den bereits harten Wettbewerb womöglich noch weiter verschärfen würde. Sie imaginieren eine neu zu schaffende Anstalt öffentlichen Rechts nach Vorbild der Filmförderung, die journalistische Fördervorhaben nach festgelegten Kriterien unterstützen könnte. Die Analogie zur Filmförderung mag verfangen, doch natürlich ist Journalismus (viel) mehr als ein Kulturgut, weil er in Vielfalt und Breite system- und damit demokratierelevant ist.
Zwar heißt es im Koalitionsvertrag der Bundes-Ampel: „Wir wollen die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleisten und prüfen, welche Fördermöglichkeiten dazu geeignet sind.“ Aktuell ist die Lage aber eher ernüchternd, in den Ministerien schiebt man sich die Verantwortlichkeiten für eine Presseförderung gegenseitig zu. So richtig zuständig fühlt sich seit Monaten niemand. Haushaltssperren, Zuständigkeitswirrwarr und die teils opake Gesetzeslage tun ihr übriges. Wenn wir nicht wollen, dass „Demokratie in Dunkelheit stirbt“, werden sich über kurz oder lang Lösungen finden müssen, die vor allem denjenigen nützen, die professionellen Journalismus betreiben – ob gedruckt oder online.
Der plakative Claim, den die ehrwürdige Post seinerzeit bewusst zu ihrem Leitmotto erklärt hat, um über soziale Medien jüngere Leserschichten anzusprechen, gilt inzwischen als geflügeltes Wort für die desaströse Lage der gedruckten Presse weltweit. Umso deutlicher ist heute: Journalismus dient dem Gemeinwohl in so vielfältiger Weise, dass eine Gesellschaft gut daran tut, sich ernsthaft um seine Förderung zu bemühen – dazu kann auch die Schaffung von Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus gehören (ein weiteres unaufgelöstes Versprechen der Bundesregierung). Schließlich geht es auch in unseren Gefilden längst um Antworten auf die Frage, was unserer Demokratie blühen könnte, falls es irgendwann keinen Qualitätsjournalismus mehr geben sollte.
Der Beitrag wurde in einer früheren Version veröffentlicht in: Süddeutsche Zeitung, 6. Juli 2023, S. 19.
Bildnachweis: KI-Generiert. NEWS DESERTS: KI-Zyklus zur Expansion von Nachrichtenwüsten und Pressesterben #5 © 2024 VOCER Institut für Digitale Resilienz
Leif Kramp
Dr. Leif Kramp ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler und analysiert seit über 20 Jahren Transformationsprozesse in der Produktion und im Umgang mit Medieninhalten. Als Forschungskoordinator ist er am ZeMKI der Universität Bremen mit übergreifenden Fragen des Wandels von Medien, Kommunikation und Gesellschaft befasst. Kramp Er ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Vereins für Medien- und Journalismuskritik e.V., der die VOCER-Bildungsprogramme trägt, und hat zahlreiche Fachbücher und Studien zur Transformation des Journalismus veröffentlicht.
Foto: Beate C. Koehler
Stephan Weichert
Dr. Stephan Weichert ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler. Gemeinsam mit dem Journalisten Alexander von Streit leitet er das unabhängige gemeinnützige VOCER Institut für Digitale Resilienz. Er ist Geschäftsführer und Leiter der Bildungsprogramme in der DIALODGE, einem neuen Resilienz- und Demokratiezentrum in Mustin bei Ratzeburg (Schleswig-Holstein) sowie Ko-Projektleiter des von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) geförderten Forschungs- und Datenbankprojekts NPJ.news, das sich mit gemeinnützigem Journalismus befasst.
Foto: Martin Kunze
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Was macht gemeinnützigen Journalismus aus? Warum braucht es ihn? Wie können seine wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen verbessert werden? Was macht seine gesellschaftliche Akzeptanz aus? In dieser Rubrik bieten wir Gastautor:innen ein offenes Forum für einordnende Debattenbeiträge, Essays, Berichte und Interviews. Die unterschiedlichen Sichtweisen, Positionen und Perspektiven sollen die Debatte über die Sinnhaftigkeit und die Zielsetzungen des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland beleben. Es handelt sich um einordnende Gastbeiträge, deren Auswahl durch die NPJ.news-Redaktion erfolgt, die aber nicht zwingend die Meinung der Redaktion wiedergeben.