Wer Nachrichtenwüsten verhindern will, muss Medienvielfalt ermöglichen. Drei Thesen, warum es jetzt mehr gemeinnützigen Journalismus braucht.
Von Leif Kramp und Stephan Weichert
Vor etwas mehr als zehn Jahren sorgte ein heftiger Schlagabtausch im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags für Unruhe. Das Thema der Sitzung: die zukünftige Sicherung des Qualitätsjournalismus. Der Insolvenzantrag der Frankfurter Rundschau war gerade publik geworden, einige Wochen zuvor hatte die Einstellung der Financial Times Deutschland für kalte Füße in der Verlagsbranche gesorgt. Es gab also reichlich Anlass, sich über das Innovationsdilemma der Presselandschaft Gedanken zu machen. Doch es kam anders: Entgegen den Leitfragen, die der Ausschuss verschickt hatte, drehte sich die zweistündige Debatte fast ausschließlich um das seinerzeit vieldiskutierte „Leistungsschutzrecht“.
Als „Experten“ geladen waren Mathias Döpfner (Axel Springer SE), Rainer Esser (Zeit Verlagsgruppe), Julia Jäkel (Gruner + Jahr), Christian Nienhaus (WAZ-Mediengruppe), Ulrich Lingnau (Chemnitzer Verlag) und einer der Autoren, seinerzeit Journalismus-Professor an einer privaten Medienhochschule. Döpfner, der als Sprecher der versammelten Verlagsprominenz agitierte, nutzte die Gelegenheit, das Immaterialgüterrecht zur „Schicksalsfrage“ seiner Zunft zu erklären. Die von der Wissenschaft ins Gespräch gebrachten alternativen Finanzierungsformen lösten unter den anwesenden Verlegern dagegen vehemente Abwehrreaktionen aus. Gemeinnützige Stiftungs- und Spendenmodelle nach US-amerikanischem Vorbild, eine erweiterte Haushaltsabgabe wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder das bis dato wenig erprobte Crowdfunding: Döpfner bezeichnete diese Ansätze in der Hitze des Gefechts allesamt als „Alptraum“ und weltfremd – sie seien das, „was wir nicht brauchen“. Esser, Jäkel, Nienhaus und Lingnau pflichteten bei.
„Null-Prozent-Mehrwertsteuer“- Formel
So wurde in der illustren Runde die Chance vertan, den eigentlichen Elefanten im Raum zu adressieren: die Hiobsbotschaften aus deutschen Verlagen. Heute ist das Bedrohungsszenario umso realer: Viele Verlage bewegen sich in der Todeszone, Redaktionen werden weiter personell ausgedünnt, Traditionsblätter mutieren zu „Zombie-Zeitungen“, vielerorts entstehen oder drohen Nachrichtenwüsten – die berüchtigten „Ein-Zeitungs-“ und „Kein-Zeitungs-Kreise“. Der BDZV prognostiziert, dass bis 2025 bis zu 4.400 Gemeinden ohne lokale Berichterstattung sein könnten.
Nun sind sie umso lauter, die Rufe nach staatlichem Protektionismus. Die Verlage postulieren reflexhaft die „Null-Prozent-Mehrwertsteuer“- Formel, und der alte Streit zwischen Onlinepublishern und Druckverlagen flammt wieder auf. Sie streiten aufs Bitterste für und gegen Pressesubventionen als „Zustellförderung“.
Und noch ein anderes Koalitionsversprechen der Bundesregierung sorgt für Zerrissenheit: die Schaffung von Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus. Während Journalismusverbände und -gewerkschaften sowie weite Teile der Medienpolitik darin eine überfällige regulatorische Maßnahme sehen, um Medienvielfalt zu sichern, fürchtet die Verlagswirtschaft Wettbewerbsverzerrungen. Dabei beweisen auch in Deutschland journalistische Startups, Recherchebüros und Medienorganisationen, welches Potenzial in einer konsequenten Gemeinwohlorientierung liegt: Gemeinnützige Redaktionen wie die Kontext: Wochenzeitung oder Netzpolitik haben Nischen erobert. Sie und andere gemeinnützige Medienprojekte bilden seit Jahren mit Ideenreichtum, Ausdauer und Professionalität ein Gegengewicht zu den Strukturdefiziten im (Lokal-) Journalismus.
1. Warum braucht es gerade jetzt gemeinnützigen Journalismus?
Gemeinnütziger Journalismus hilft, Lücken in der Nachrichtenversorgung zu füllen. Er zeigt aber auch, wie journalistische Integrität und Transparenzoffensiven das Vertrauen in und die Begeisterung für professionelle Berichterstattung mehren. Die Förderkulisse für journalistische Projekte ist in Deutschland diffus und damit ineffektiv. Jede Initiative für Nonprofit-Medien aber stärkt das Förderbewusstsein in der Bevölkerung und die Spendenbereitschaft. Wir gehen davon aus, dass Neugründungen gemeinnütziger Projekte durch die anstehenden politischen Weichenstellungen in den kommenden Jahren populärer und sogar die Transformation von kommerziellen Verlagen zu Nonprofit-Häusern begünstigen werden.
2. Was kann gemeinnütziger Journalismus besser als die anderen Modelle?
Strukturkonservatismus ist einer der größten Innovationshemmer in der Branche. Das Festhalten an überkommenen Publikums- und Produktversprechen ist mitverantwortlich für die Rückwärtsgewandtheit vieler Verlagshäuser. Gemeinnützige Medien können bestehende Strukturen aufbrechen, weil sie sich viel stärker an den Bedürfnissen des Publikums orientieren (müssen). In der digitalen Transformation wird offensiv an einer Gemeinwohlbilanz gearbeitet – indem die Nutzenden zu Spendern, Mitgliedern und Multiplikatoren werden. Das Engagement des Publikums wird so zum Teil des publizistischen Konzepts.
3. Warum hat gemeinnütziger Journalismus eine Zukunft?
Weil Journalismus keine gemeinnützigen Zwecke der Abgabenordnung erfüllt, gibt es bislang bestenfalls Behelfskonstruktionen. Dabei könnte Rechtssicherheit die Lösung für zahlreiche Probleme bedeuten: Journalismus würde im Stiftungssektor keinen blinden Fleck in der Demokratieförderung mehr darstellen; prekäre Beschäftigungsverhältnisse würden vermutlich seltener, da Redaktionen verpflichtet wären, in die Arbeitsbedingungen zu reinvestieren; neue Anreize erhöhen die Kooperationsbereitschaft zwischen Forprofit- und Nonprofit-Medien sowie den öffentlich-rechtlichen Anstalten; schließlich würde das gesellschaftliche Ansehen des Journalismus insgesamt profitieren, weil die Kollaborationsoffenheit mit der Zivilgesellschaft (u. a. Vereine, Bildungseinrichtungen) in der Gemeinnützigkeit mit angelegt ist.
Der Beitrag wurde in einer früheren Version veröffentlicht in: „Medium Magazin“, 04/2023, S. 28-29.
Bildnachweis: KI-Generiert. NEWS DESERTS: KI-Zyklus zur Expansion von Nachrichtenwüsten und Pressesterben #4 © 2024 VOCER Institut für Digitale Resilienz
Leif Kramp
Dr. Leif Kramp ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler und analysiert seit über 20 Jahren Transformationsprozesse in der Produktion und im Umgang mit Medieninhalten. Als Forschungskoordinator ist er am ZeMKI der Universität Bremen mit übergreifenden Fragen des Wandels von Medien, Kommunikation und Gesellschaft befasst. Kramp Er ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Vereins für Medien- und Journalismuskritik e.V., der die VOCER-Bildungsprogramme trägt, und hat zahlreiche Fachbücher und Studien zur Transformation des Journalismus veröffentlicht.
Foto: Beate C. Koehler
Stephan Weichert
Dr. Stephan Weichert ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler. Gemeinsam mit dem Journalisten Alexander von Streit leitet er das unabhängige gemeinnützige VOCER Institut für Digitale Resilienz. Er ist Geschäftsführer und Leiter der Bildungsprogramme in der DIALODGE, einem neuen Resilienz- und Demokratiezentrum in Mustin bei Ratzeburg (Schleswig-Holstein) sowie Ko-Projektleiter des von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) geförderten Forschungs- und Datenbankprojekts NPJ.news, das sich mit gemeinnützigem Journalismus befasst.
Foto: Martin Kunze
Forum & Debatte
Was macht gemeinnützigen Journalismus aus? Warum braucht es ihn? Wie können seine wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen verbessert werden? Was macht seine gesellschaftliche Akzeptanz aus? In dieser Rubrik bieten wir Gastautor:innen ein offenes Forum für einordnende Debattenbeiträge, Essays, Berichte und Interviews. Die unterschiedlichen Sichtweisen, Positionen und Perspektiven sollen die Debatte über die Sinnhaftigkeit und die Zielsetzungen des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland beleben. Es handelt sich um einordnende Gastbeiträge, deren Auswahl durch die NPJ.news-Redaktion erfolgt, die aber nicht zwingend die Meinung der Redaktion wiedergeben.