Menschlich gesehen
Wie geht gemeinwohlorientierter Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Innovations-Projekte im Journalismus. Diesmal: „Shelfd“
Was ist das?
Shelfd ist die Adresse für Couch Potatoes – nämlich Leute, die sich abends nach getaner Arbeit aufs Sofa fallen lassen und eigentlich nur noch eins wollen: Streamen, streamen, streamen. Die Herausforderung: In Zeiten von „24“, „Sex and the City“ und „Sopranos“ war der Serienmarkt noch übersichtlich. Aber seit dem Start von Netflix und anderen Streamern in Deutschland vor rund zehn Jahren ist nichts mehr, wie es war: Heute finden sich selbst eingefleischte Serienjunkies kaum zurecht. Shelfd will hier Abhilfe schaffen: mit „handverlesenen Streamingtipps aus den deutschen Mediatheken und von allen Abodiensten“, sagt Gründer und Macher David Streit.
Wer steckt dahinter?
Gestartet ist Streit 2014 – zunächst im Newsletter-Format mit Twitter-Account. Inzwischen wird das digitale Regal („shelf“) von einem festen Redaktionsstamm befüllt, Newsletter und eigenes Webangebot inklusive: Die sieben professionellen Serien-Binger arbeiten als honorierte Teilzeitkräfte daran, ihre Community kontinuierlich mit Gucktipps zu verwöhnen, indem sie redaktionelle Empfehlungen und inhaltliche Shortcuts passend zu Genre- und Plattform-Vorlieben der Shelfd-Nutzer verfassen. „Dabei teilen wir nur Inhalte, die mit Liebe gemacht sind“, sagt Streit.
Warum braucht es das?
Die Marktverhältnisse werden volatiler, die Stoffe diverser, die Zuschauer wählerischer: Das allein schon sind drei Gründe, genauer dorthin zu schauen, wie und wo sich die beste Zeit vor dem Schirm verbringen lässt. Wer kennt das nicht: Endloses Herumsuchen auf den Streaming-Plattformen, ein Trailer nach dem anderen, Diskussion mit der Partnerin, was wirklich sehenswert sein könnte, was nicht – bis man irgendwann unverrichteter Dinge zu Bett geht: „Unsere Nutzer wollen abends auf die Couch fallen und nicht 30 Minuten mit der Recherche verbringen, was sich genau jetzt für sie lohnen kann. Dabei helfen wir!“, sagt Shelfdmade-Unternehmer Streit.
Was ist das Besondere?
Netflix, Amazon Prime oder Disney+: Streit nimmt an, dass die Deutschen einen Streamer fortlaufend abonnieren. Manche leisten sich allenfalls Apple TV oder Wow als Zweit- oder Drittkanal. Danach kommt lange nichts. Es ist weniger das Startup selbst als der Bedarf nach seinem Werteversprechen, keine wertvolle Zeit mehr mit Streaming-Trash zu verschwenden: Das Überangebot hat – auch Corona sei Dank – den Programmempfehlungen zum Revival verholfen, die denen in der Programmzeitschriftenära ähnlich sind. Nur eben digital, interaktiv und vielkanalfähig. „Wir versuchen immer wieder neue Antworten darauf zu finden, wie wir heute eigentlich streamen wollen. Darum erreicht man Shelfd sowohl im Web als auch im Newsletter, mit eigenen Formaten in den sozialen Medien und mit einer Vorschau in der eigenen Kalender-App“.

Wie finanziert sich das?
Die „Shelfd“-Mitgliedschaft kostet 2,60 Euro im Monat, weniger als ein Kaffeelatte um die Ecke. Die in den zehn Jahren seines Bestehens überzeugten nunmehr 350 Abonnenten reichen aber gerade mal, um einen Teil der redaktionellen Pflege zu bestreiten. Für eine Weiterentwicklung der Plattform reiche das aber nicht. Streit: „Diese finanzieren wir quer mit Schreib- und Kurationsaufträgen aus unserer Streaming-Redaktion heraus, sowie mit Beratung für Medienhäuser.“
Hat das Zukunft?
Mitunter bleibt einem scheinbar nur die Wahl zwischen TV-Pest und Streaming-Cholera. Die Rückentwicklung zu anspruchslosen Produktionen als noch zu Corona-Hochzeiten, zum Werbefernsehen wie bei Freevee, aber auch algorithmenbasierte Empfehlungen sorgen für hohe Frustrationstoleranz: „Während alle auf Algorithmen als Lösung für Discovery setzen, gehen wir den gegenteiligen Weg und halten unsere Menschlichkeit hoch“, sagt Streit. Hinter jeder Empfehlung stecke eine echte Person. Das honoriere die Community: „mit Vertrauen und einem fortlaufenden Support“. Wer dem Zufallsstreaming nicht traut, ist mit „Shelfd“ also nicht schlecht beraten.
Shelfd

Gründung: 2014
Unternehmensform: Shelfd UG (haftungsbeschränkt)
Foto: Hella Wittenberg
Stand: August 2025
Nonprofit-Pionier:innen
Die Wüste lebt: Pionier:innen arbeiten bereits an ihrer Version von gemeinnützigem Journalismus. Wie sieht das in der Praxis aus? Wir beleuchten in dieser Serie bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im deutschsprachigen Journalismus.