Für das Gute im Digitalen

Wie geht gemeinnütziger Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im Journalismus. Diesmal: Netzpolitik.org.

Was ist das?

Die als „Blog für digitale Freiheitsrechte“ gestartete Nachrichten-Website „Netzpolitik.org“ erscheint seit über zwanzig Jahren und folgt dabei konsequent einer Nutzer:innenperspektive auf netzpolitische Themen, die sich von der wachsenden Bedeutung der digitalen Vernetzung und Datafizierung für Gesellschaft und Individuum ableiten. „Am Ziel hat sich seit der Gründung nicht viel geändert: Wir sind weiterhin ein, wahrscheinlich das Medium für digitale Freiheitsrechte und konsequent am Gemeinwohl orientiert“, sagt Co-Chefredakteurin Anna Biselli. Die Redaktion versteht Gemeinwohlorientierung als Gegenentwurf zu einer Orientierung, welche die Interessen von Konzernen oder von Staaten in den Vordergrund stellt: „Wir schauen im Zweifelsfall immer, was die Interessen der Gesellschaft als Ganzes sind und im Speziellen auch von den Nutzer:innen im Sinne des Verbraucherschutzes“, ergänzt Biselli. Im Vordergrund stehen Fragen, wie das Internet gestaltet sein sollte, damit es möglichst alle Menschen gut nutzen können. „Wir machen uns Gedanken darum, was eine neue Entwicklung im Netz Gutes bringen kann und wie wir uns das Internet wünschen.“ Im Kern gehe es im Grunde nicht um Konsum-Themen, sondern um aktive Gestaltungsmöglichkeiten des Netzes.

Wer steckt dahinter?

Die Informatikerin Anna Biselli formt gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Daniel Leisegang die Chefredaktion von „Netzpolitik.org“ und folgte auf Gründer Markus Beckedahl, der sich nach fast zwanzig Jahren wieder stärker als Autor und Analyst betätigt. Die Redaktion umfasst momentan elf Festangestellte und zwei Praktikant:innen. Hinzu kommen Kolleg:innen, die administrative Dinge erledigen, Gestaltung und IT übernehmen. Die Redaktion vereint denkbar unterschiedliche Expertisen, von den Sozialwissenschaften über Datenwissenschaften bis hin zu Geschichts- und Kommunikationswissenschaften. Auch einige gelernte Journalist:innen gehören zur Redaktion, die sich durch die Einflussbereiche von Digitalisierung und Onlinekommunikation auf sämtliche Gesellschaftsebenen zwangsläufig ausdifferenzieren musste. In kleinen Teams befassen sich immer drei bis vier Kolleg:innen mit netzpolitisch relevanten Themen wie sexualisierter Gewalt gegen Kinder, kommerzielle Überwachung und Datenschutz oder auch digitale Gesundheit.

Warum braucht es das?

Netzpolitik gehört inzwischen landauf landab zum Themenspektrum von Politik- und Wirtschaftsressorts und nicht zuletzt den Feuilletons der Republik. Warum es ihr redaktionelles Angebot trotzdem braucht, weiß Anna Biselli schnell zu beantworten: „um über Sachen zu berichten, bevor sie groß werden …, über Themen, die vielleicht auch ein bisschen quer liegen.“ Die größeren Medien wie die „Tagesschau“ stiegen häufig viel später in die Berichterstattung ein und würden Prozesse deshalb nicht ausreichend von Anfang an begleiten: „Es braucht uns, um über relevante Dinge zu berichten, auch wenn sich nicht gleich alle Welt dafür zu interessieren scheint, zum Beispiel die Datenbroker-Recherche von Ingo Dachwitz“, meint Biselli – aus ihrer Sicht ein Thema, das andere Medien nur sehr ungern aufgriffen, weil Medienhäuser davon gemeinhin selbst auf die ein oder andere Weise betroffen seien: „Alle nutzen Tracking Cookies und keiner berichtet darüber, weil man sich damit irgendwie ein bisschen selber ans Bein pinkeln würde.“

Was ist das Besondere?

Menschen zu befähigen, das Netz besser zu verstehen, um es souverän nutzen zu können, ist ein wesentlicher Teil des publizistischen Selbstverständnisses der Redaktion. Wenn bei „Netzpolitik.org“ beispielsweise über die Datensammelwut von Automobilkonzernen berichtet wird, schwingt nicht Skandalisierung oder Empörung mit, sondern größtmögliche Transparenz und Aufklärung über die zugrundeliegenden Fragen, die nicht nur die Politik, sondern die Konsument:innen angehen. Handlungsfähig zu bleiben, steht stets im Vordergrund, auch wenn Originaldokumente veröffentlicht werden ohne Rücksicht auf juristische Auseinandersetzungen.

Wie finanziert sich das?

Seit 2012 wird das journalistische Angebot getragen vom gleichnamigen Verein Netzpolitik.org e.V. in Berlin, der für Zwecke des Verbraucherschutzes von der Finanzbehörde als gemeinnützig anerkannt ist. Finanziert werden Verein und damit auch die Redaktion fast ausschließlich – zu über 90 Prozent – über Spenden. Hin und wieder weist ihm ein Gericht als gemeinnützige Organisation auch Bußgelder zu. Hinter dem Verein stehen weder klassische Mäzene noch vermarktet die Redaktion Abo-Modelle. „Wer für uns zahlt, spendet uns ohne Gegenleistung“, sagt Biselli. Das Gros der Unterstützer:innen habe Daueraufträge laufen in Form von monatlichen Kleinbeträgen von etwa fünf Euro. Fördergelder hätten in der Gesamtfinanzierung bislang nur einmal eine Rolle gespielt: Vor der Corona-Pandemie organisierte der Verein Konferenzen, die unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurden. Für das journalistische Kerngeschäft schließt Biselli die Einwerbung von institutionellen oder staatlichen Fördergeldern aber vorerst aus: „Wir sind relativ zurückhaltend bei dem Thema, eben weil wir auf der einen Seite das extrem wertschätzen, dass wir es momentan noch schaffen, uns alleinig mit Spenden zu finanzieren. Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal.“ Der Lohn sei echte finanzielle Unabhängigkeit.

Hat das Zukunft?

Die neue Chefredaktion hat sich eine strukturierte Wirkungsanalyse ins Pflichtenheft geschrieben: „Wo ist es wichtig, dass wir darüber berichten und wie wir darüber berichten? Und wollen wir uns darauf thematisch stärker fokussieren und schauen, dass wir diesen Fokus gemeinsam finden?“ Um personell oder anderweitig zu wachsen, stehen die Zeichen der Zeit auch für „Netzpolitik.org“ nicht günstig. Die Spendensituation entwickle sich nicht gerade positiv, da sich immer mehr Menschen nicht mehr in der Lage sehen, ihre 5 Euro im Monat zu überweisen. „Hoffentlich sieht das in einem halben Jahr besser aus, aber auch wir sind jetzt nach viel Wachstum in den letzten Jahren mittlerweile in einem Zustand der Stabilisierung“, sagt Biselli. Der Fokus liege jetzt darauf, was funktioniere. Die breite Spendenbasis schütze das Medium aktuell noch vor herben Einschnitten.

NETZPOLITIK.ORG

Gründung: 2002
Unternehmensform: Eingetragener Verein
netzpolitik.org

Foto: Netzpolitik

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