Big Tech, digitale Populisten und eine EU im medienpolitischen Dornröschenschlaf – der renommierte Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree zieht in seinem neuen Buch Krieg der Medien eine drastische Bilanz, die sich wie ein politischer Thriller der technoverliebten Gegenwart liest.
Von Stephan Weichert
Elon Musk will den rechtsextremen Megatroll Tommy Robinson begnadigen lassen. Die Tech-Oligarchen aus dem Silicon Valley verbünden sich offen mit Donald Trump. Die „Paypal-Mafia“ breitet weiter ihre Krakenarme über das politische Washington aus. Und Alice Weidel lobt öffentlich Adolf Hitler – befeuert vom algorithmischen Soundtrack auf X. Willkommen im „Krieg der Medien“, den der Medienwissenschaftler Martin Andree in seinem furiosen Buch als das beschreibt, was er längst ist: ein „Zerstörungswerk“ unserer digitalen Öffentlichkeit – orchestriert von Plattformkapitalisten, autoritären Populisten und einer Gesellschaft, die den systematischen Kontrollverlust als technologischen Fortschritt verklärt.
Andree nimmt kein Blatt vor den Mund: Die Pharaonen und Sonnenkönige aus der Geschichte nähmen sich wie ein „Fliegenschiss“ aus gegen die Akkumulation von Macht, wie sie sich derzeit in den USA präsentiert. Das toxische Amalgam aus Geltungsdrang, Skrupellosigkeit und Profitstreben, so seine These, hat längst auch die europäische Öffentlichkeit erfasst: Unsere digitale Mediennutzung wird von den Algorithmen US-amerikanischer Konzerne diktiert, unsere Diskurse von Plattformlogiken verformt – und eine absurde Heilserzählung vom „digitalen Fortschritt“ hat sich tief in unser demokratisches Selbstverständnis eingegraben.
Machtgeflecht aus Überwachungsinfrastruktur und Radikalisierung
Der Medienwissenschaftler zieht die Linie vom Trumpismus bis zur AfD, von Cambridge Analytica bis TikTok, von Palantir bis zum deutschen Bundesrat, der im März 2025 ausgerechnet Peter Thiels Überwachungssoftware von Palantir zur Standardlösung für die Polizei erklärt hat. Andree spart weder mit Kritik noch Argumenten, um den Big-Tech-Companies wie Meta, Google, Amazon, Microsoft oder X den Garaus zu machen – und das ist gut so: Wie Plattformkonzerne, politische Extremisten und rechte Netzwerke gezielt unsere demokratische Öffentlichkeit unterwandern; wie sie durch Lobbyismus und technologische Übermacht politische Entscheidungen beeinflussen; wie sie unsere Mediennutzung manipulieren – und wie sich in diesem Prozess ein gefährliches Machtgeflecht aus Datenindustrie, Überwachungsinfrastruktur und ideologischer Radikalisierung etabliert hat.
„Dark Tech“ – ein Begriff, den Andree in seinem Buch ganze 184 Mal verwendet – steht für Technologien, die im Verborgenen agieren, unreguliert, intransparent, oft mit destruktiven gesellschaftlichen Folgen. Gemeint ist auch der Arkanbereich eines ideologisch verbrämten Silicon Valleys, das unter dem Akronym TESCREAL – kurz für Transhumanismus, Extropianismus, Singularitarismus, Kosmismus, Rationalismus, Effektiver Altruismus und Longtermismus – firmiert, und das sich mit der Wiederwahl Donald Trumps endgültig von demokratischen Grundprinzipien verabschiedet hat.
Das alles passt ins Gesamtbild einer düsteren Medienzukunft: Neuere Recherchen belegen etwa, dass der milliardenschwere Investor und Trump-Flüsterer Peter Thiel (Mitgründer von Palantir) direkte Verbindungen ins Lager der MAGA-Republikaner unterhält – und damit zu den zentralen Drahtziehern eines politischen Netzwerks zählt, das „Dark Tech“ nicht nur maßgeblich sponsert, sondern strategisch vorantreibt. Die Plattformlogik ist dabei kein Nebenprodukt, sondern Machtinstrument einer neuen Rechten, die Technologie als Waffe gegen die liberale Demokratie nutzt.
Prägnant beschreibt Andree das „riesige Täuschungsmanöver“ der „Dark-Tech-Bros“ und „Zombie-Konzerne“, die mit dem Versprechen von Befreiung bei ihren Nutzenden genau das Gegenteil erreichen wollen – „für immer eingesperrt und von ihnen kontrolliert zu werden“, schreibt der Autor. Die angebliche Erlösung durch Technologie bedeute nichts anderes als algorithmisch gesteuerte Verhaltensmanipulation: „Im Krieg um die Medien gewinnen gerade die Dark-Tech-Konzerne. Im Krieg in den Medien sind an allen Fronten die Populisten auf dem Vormarsch“, so Andree. Und nun werde sichtbar, dass sich beide Bewegungen strategisch miteinander auf gefährliche Weise synchronisieren – unter dem Vorwand der „unzensierten Meinungsfreiheit“, als Gegenerzählung zum so genannten „Systemjournalismus“, den nicht nur Trump und seine Truppen, sondern auch die Weidels und Höckes in unseren Sphären verbreiten.
Mit Herzblut, Sachverstand und Wut im Bauch
Andree, Privatdozent für Medienwissenschaft in Köln, kämpft seit Jahren gegen diese Machtkonzentration im Netz. Nach seinem Bestseller „Big Tech muss weg!“ von 2023 schlägt er jetzt erneut Alarm – mit Herzblut, Sachverstand und der Wut im Bauch eines Mannes, der sich in Interviews und auf den Podien dieser Republik den Mund bereits fusselig geredet hat. „Krieg der Medien“ – ein Buchtitel, der bewusst so plakativ klingen soll wie ein Hollywood-Blockbuster – ist keine neutrale Analyse eines Wissenschaftlers, sondern ein kämpferisches Manifest. Schon deshalb erinnert der angesehene Medienkritiker ein bisschen an den Darsteller Tom Cruise, der sich nicht zu schade ist, auf seiner unmöglichen Weltrettungsmissionen die Stunts höchstselbst zu übernehmen.
Der Notruf des 52-Jährigen Andree könnte jedenfalls klarer kaum sein, schließlich es geht ums große Ganze: Im Angesicht von Big-Tech-Autokratie, Populismus und KI drohen nicht nur unsere demokratischen Strukturen zu verwahrlosen. Die Demokratie hat ihre digitale Souveränität längst eingebüßt – und kaum jemand scheint es zu merken. Dabei agiert Andree hier weder Kulturpessimist noch als Romantiker analoger Medienkultur. Er analysiert hart, mitunter auch etwas alarmistisch, wie sich Öffentlichkeit unter der fortdauernden digitalen Knechtschaft transformiert – und warum sie uns entgleitet, wenn wir ihre Gestaltung nicht (endlich) selbst in die Hand nehmen.
Was fehlt, sagt er, sei eine echte Vision: eine Utopie, wie eine digitale Medienwelt jenseits von Desinformation, Aufmerksamkeitsökonomie und Mediensucht aussehen kann. Für den selbst ernannten Widerstandskämpfer ist die komplette Resignation jedenfalls keine Option. „Unsere Demokratie kippt – ihre Feinde werden immer stärker und dreister“, sagt Andree. „Noch können wir uns wehren und die freien Medien retten. Wenn wir es nicht tun, haben wir bald amerikanische Verhältnisse in Deutschland und Europa.“
Nach seiner Vorstellung brauchen wir eine digitale Öffentlichkeit, die nicht durch Reichweite, sondern durch Relevanz glänzt. Eine, in der nicht Plattformen die Regeln bestimmen, sondern demokratisch verhandelte Werte. Eine, die das Gemeinwohl im Blick hat, nicht die Gewinnmaximierung einzelner Profiteure. Und eine, in der wir dem etablierten Journalismus nicht beim Sterben zusehen, sondern ihn immunisieren gegen die Zerstörungswut der digitalen Monopole.
Ein hochpolitisches Buch zur digitalen Vermessung unserer Zeit
In der medienwissenschaftlichen Community, die nur selten den Mut hat, in die Offensive zu gehen, ist Andrees beunruhigende wiewohl polemische Streitschrift die Ausnahme. Sie zeigt, warum fundierte, mitunter aufmerksamkeitsheischende Medienkritik angebrachter ist denn je. Wer den „Krieg der Medien“ nachvollzieht, kann hinterher nicht sagen, er habe von alledem nichts gewusst. Doch so scharf Andree wachrüttelt: Eine konkrete Idee bleibt auch er schuldig, wie dieser Krieg nun gewonnen werden könnte. Was der Autor vorschlägt, ist zwar ambitioniert, bleibt aber stellenweise auch etwas vage. Ja, es braucht eine strenge Regulierung, gute Bildungsarbeit, außerdem starke öffentliche und staatliche Investitionen. Aber es braucht vor allem eines: den Mut und die Einsicht von uns allen, die Dinge zu ändern.
Martin Andree liefert mit „Krieg der Medien“ ein hellsichtiges, vor allem hochpolitisches Buch zur digitalen Vermessung unserer Zeit. Auch wenn sein Aufschrei gegen die Antidemokraten und Tech-Libertären wie ein Kampf gegen Windmühlen anmutet: Es gibt zwischen den beiden Extremszenarien totale Kapitulation (digitale Abhängigkeit) und militantem Aufstand (digitale Souveränität) nach wie vor einen schmalen Korridor, auf den auch renommierte US-Technologiekritiker wie der Google-Aussteiger Tristan Harris oder der ehemalige Facebook-Investor Roger McNamee hinweisen, seit die Debatte um die Gefahren der Technologieabhängigkeit vor einigen Jahren so richtig Fahrt aufnahm.
Ihre Appelle decken sich mit Andrees Warnrufen: Den Aufbruch müssen wir alle selbst in Gang setzen – in Redaktionen, Klassenzimmern, Parlamenten und auf den Servern europäischer Plattformalternativen wie dem Fediverse. Wenn überhaupt, lässt sich der Krieg der Medien (nur) auf diese Weise befrieden. Uns bleibt als Gesellschaft vielleicht noch eine Galgenfrist von wenigen Jahren, um uns im Hinblick auf die perfiden Abhängigkeiten des Tech-Imperialismus zu positionieren: All-in oder Game-over?

Bildnachweise: Buchcover: Campus Verlag. Titelbild: NEWS DESERTS: #56 © 2024-2025 Stephan Weichert / VOCER-Institut für Digitale Resilienz
Dr. Stephan Weichert

Dr. Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler, Publizist sowie Mitgründer und Direktor des gemeinnützigen VOCER-Instituts für Digitale Resilienz.
Fotos: VOCER-Institut/ Martin Kunze
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Was macht gemeinnützigen Journalismus aus? Warum braucht es ihn? Wie können seine wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen verbessert werden? Was macht seine gesellschaftliche Akzeptanz aus? In dieser Rubrik bieten wir Gastautor:innen ein offenes Forum für einordnende Debattenbeiträge, Essays, Berichte und Interviews. Die unterschiedlichen Sichtweisen, Positionen und Perspektiven sollen die Debatte über die Sinnhaftigkeit und die Zielsetzungen des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland beleben. Es handelt sich um einordnende Gastbeiträge, deren Auswahl durch die NPJ.news-Redaktion erfolgt, die aber nicht zwingend die Meinung der Redaktion wiedergeben.