Die Pille danach
Wie geht gemeinwohlorientierter Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Innovations-Projekte im Journalismus. Diesmal: Akkurat (ARD-Aktuell).
Was ist das?
Im Innovationslabor von ARD-aktuell köchelt und brodelt es unentwegt: Hier sollen bestehende Formate unter der Dachmarke „tagesschau“ weitergedacht und Geheimrezepte zutage gefördert werden, die gegen Nachrichtenmüdigkeit helfen. „Akkurat“ ist eine hintergründige Sendung, die speziell für Menschen zwischen 18 und 24 Jahren entwickelt wurde: ein YouTube-affines Format, das Themen setzt, die mutmaßlich „eine hohe Relevanz für die Zielgruppe haben und in den Tagesschau-Communities stark diskutiert werden“, sagt die Projektleiterin Sara Maria Manzo.
Wer steckt dahinter?
Da sich das Format im iterativen Entwicklungs- und Feedbackstadium befindet, gibt es derzeit keine fest etablierten Strukturen. Neben Leiterin Sara Maria Manzo, die für Redaktion und Montage verantwortlich zeichnet, unterstützen bisher Imke Wrage (Redaktion) und Hennes Elbert (Design, Infografik, Animation) das vorläufige Redaktionsteam.
Warum braucht es das?
„Wir brauchen neben den klassischen Nachrichten andere Formen, Nachrichten zu erzählen, bei denen stärker das Warum im Vordergrund steht“, sagt Sara Maria Manzo. Es gehe darum die Frage zu beantworten: „Was hat das alles mit mir zu tun?“ Gerade junge Menschen hätten zwar Interesse an Informationen, fühlten sich „aber oft von Nachrichten überfordert, die sie als zu negativ und schwer verständlich empfinden“. Die Mediennutzungsforschung bestätigt das: Mehr Orientierung, mehr Lebensnähe, mehr Hintergrund und Kontext können helfen, auch Jüngere wieder für Nachrichten zu begeistern.
Was ist das Besondere?
Die Bandbreite der Themen – Alkohol, Kiffen, Geschlechtskrankheiten, Mietenkollaps –eher nicht. Dieser Themenkanon wandert seit Jahren durch x-beliebige redaktionelle Erlebniswelten, etwa auch unter dem öffentlich-rechtlichen Label Funk. Was dem Zuschauer positiv auffallen dürfte, ist der klassisch-cleane Tagesschau-Look, in dem ausnahmsweise keine nervigen Influencer mit artifiziellem Geplapper jungen Erwachsenen die Welt erklären und so tun, als sei dies Journalismus. „Akkurat ist eine Mischform aus Information, Emotion und Unterhaltung. In der Ansprache und Umsetzung sind wir nah an der jungen Zielgruppe, ohne zu nerven“, sagt auch Manzo. Bei jedem Thema versuche die Redaktion zu identifizieren, wo „der Schmerzpunkt für 18- bis 24-Jährige“ liege.

Wie finanziert sich das?
Aktuell wird „Akkurat“ mit Bordmitteln produziert. Laut Manzo gilt das für „fast alle Projekte, die sich in der Entwicklung und deshalb im Innovationslabor von ARD-aktuell befinden“. Doch das könnte sich ändern: „Bisher haben die zehn Pilotfolgen rund 3,7 Mio. Views erzielt, wurden tausendfach geliked und in der großen Mehrheit positiv kommentiert“, so Manzo. „Wir werden uns als nächstes anschauen, welche Strukturen und Produktionsworkflows im Haus erforderlich sind, um das Format in den Betrieb zu überführen.“
Hat das Zukunft?
Auf jeden Fall. Nicht nur positive Feedback-Schleifen mit der Community und wohlwollende – und überaus zivilisierte – Kommentare in den sozialen Medien sprechen eindeutig dafür, dass diese hintergründige News-Berichterstattung funktioniert und die Nutzungsschmerzpunkte der jüngeren Zielgruppe trifft. Die vorgezogene Bundestagswahl hat das Team Anfang 2025 für ein „Akkurat“-Sonderprojekt genutzt, in dem es die vier Kanzlerkandidaten vorgestellt hat (die ersten vier Videos finden sich in der Playlist). Diese Reihe sei ein Testlauf gewesen, um besser zu verstehen, wie „wir das Format in den Betrieb überführen und die Recherchen für alle Redaktionen verfügbar machen können“, sagt „Akkurat“-Chefin Manzo: „Wir haben zum einen ausprobiert, ob und wie gut solche Politikerporträts bei der jungen Zielgruppe ankommen“. Das habe „sehr gut funktioniert“, das Team arbeite zum anderen nun an strukturellen Schritten, so habe man für die Produktion ein redaktionsübergreifendes Team aus Social-Media-, „tagesthemen“-Kollegen und dem „Akkurat“-Entwicklungsteam zusammengestellt. Ansprache, Stil und Storytelling scheinen bei „Akkurat“ im guten Einklang mit der Gen Z zu stehen, ohne „cringe“ zu wirken. Es darf vermutet werden, dass das Format ein adäquates Therapieprogramm gegen die anhaltende Nachrichtenmüdigkeit vorhalten kann – falls dem Redaktionsteam nicht die Themen ausgehen.
AKKURAT

Gründung: 2022
Unternehmensform: Öffentlich-rechtlich
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video-1309840.html
Foto: NDR/Janis Röhlig
Nonprofit-Pionier:innen
Die Wüste lebt: Pionier:innen arbeiten bereits an ihrer Version von gemeinnützigem Journalismus. Wie sieht das in der Praxis aus? Wir beleuchten in dieser Serie bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im deutschsprachigen Journalismus.