Es geht voran mit dem neuen Journalismus, dem gemeinnützigen. Er steht im Berliner Koalitionsvertrag, und das ist gut so. Jetzt muss endlich umgesetzt werden, was dort festgehalten ist. Denn das Land braucht unabhängige Medien neben der kommerziellen Presse und dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk dringender denn je.

Von Susanne Stiefel

Dass eine Demokratie von informierten, aufgeklärten und medienerfahrenen Bürger:innen lebendig gehalten wird, ist Allgemeingut. In der Pandemie hat sich einmal mehr gezeigt, dass das mit den üblichen Akteur:innen allein nicht mehr funktioniert: Verlässliche Informationen, Einordnungen sind wichtiger denn je. Gleichzeitig kommt die Verlegerpresse an ihre Grenzen, weil sie spart, wo investiert werden müsste, weil Journalist:innen um ihre Zukunft bangen, in einer Zeit, in der sie und ihre Kompetenz so wichtig wären.

Es braucht sie mehr denn je, die anderen, die Kleinen, die journalistischen Projekte, die in Zeiten der Medienkonzentration noch Vielfalt ermöglichen und nicht auf Profit gepolt sind. Die tun, was der Job von Journalist:innen ist: recherchieren, orientieren, aufklären. Und die wichtige Impulse setzen für die Weiterentwicklung des Journalismus.

Das passiert bei „Kontext“ seit mehr als zehn Jahren. Wichtig war und ist uns, dass unsere Recherchen Wirkung zeigen. Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung, die uns seit mehr als fünf Jahren juristisch beschäftigt. Die Recherchen und Veröffentlichungen über rassistische, fremdenfeindliche Chat-Äußerungen eines Mitarbeiters zweier AfD-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag hatten konkrete Folgen: Das Parlament verschärfte seine Hausordnung und kontrolliert Mitarbeiter:innen von Abgeordneten stärker als zuvor.

Wir sind in dieser jungen Branche ein Methusalem

Ein weiteres Beispiel ist der „Kontext“-Artikel über die Gentrifizierung des Hochschwarzwalds. Vergeblich hatten engagierte Bürger:innen versucht, mit ihrer Sorge um den Ausverkauf ihrer Heimat bei der Lokalpresse Gehör zu finden. Als es da immer wieder hieß: zu wenige Leute, Krankheit, keine Kapazitäten, kamen sie zu „Kontext“. Daraus entstand die Geschichte vom Wahnsinn eines aus den Fugen geratenen Immobilienmarktes, in einer Region, die dafür nicht vorgesehen war. Zwei Wochen später hatte die Lokalpresse Zeit. Solche Wunder, geschildert von erfreuten Leser:innen, geschehen immer wieder.

„Kontext“ gehört zu den Pionier:innen im Nonprofit-Journalismus. Und eigentlich sind wir in dieser jungen Branche schon ein Methusalem, dessen Rat von den Neugründungen immer wieder gefragt ist. Gerade im Lokalen, wo die Not besonders groß ist, wo es immer weniger Zeitungen gibt, Kontrollinstanzen ausfallen, entsteht Neues. „Rums“ hält in Münster die Augen offen, „Veto“ macht in Dresden und darüber hinaus Journalismus mit Haltung. Und die „Relevanzreporter“ um Alexandra Haderlein wollen in Nürnberg dort in die Tiefe gehen, wo die Zeitungen vor Ort nur noch an der Oberfläche kratzen.

Gemeinnütziger Journalismus klingt unsexy. Er ist es aber nicht. Die vielen Projekte von „Investigate Europe“ über „Netzpolitik“ bis zu „Relevanzreporter“ sind aufregend, weil sie ihre Arbeit transparent machen, die Leser:innen miteinbeziehen und um ihre Rolle als Aufpasser wissen.

Hier passiert die Zukunft. Wir sind dabei.

Bildnachweis: KI-Generiert. NEWS DESERTS: KI-Zyklus zur Expansion von Nachrichtenwüsten und Pressesterben #9 © 2024 VOCER Institut für Digitale Resilienz

Susanne Stiefel

Susanne Stiefel, Jahrgang 1957, ist seit Jahren als Reporterin in Baden-Württemberg unterwegs. Vor 13 Jahren hat sie das Nonprofit-Magazin in „Kontext:Wochenzeitung“ in Stuttgart mitgegründet und vor drei Jahren das Forum gemeinnütziger Journalismus, in dessen Vorstand sie sitzt.

Foto: Joachim E. Röttgers

Forum & Debatte

Was macht gemeinnützigen Journalismus aus? Warum braucht es ihn? Wie können seine wirtschaftlichen und juristischen Rahmenbedingungen verbessert werden? Was macht seine gesellschaftliche Akzeptanz aus? In dieser Rubrik bieten wir Gastautor:innen ein offenes Forum für einordnende Debattenbeiträge, Essays, Berichte und Interviews. Die unterschiedlichen Sichtweisen, Positionen und Perspektiven sollen die Debatte über die Sinnhaftigkeit und die Zielsetzungen des gemeinnützigen Journalismus in Deutschland beleben. Es handelt sich um einordnende Gastbeiträge, deren Auswahl durch die NPJ.news-Redaktion erfolgt, die aber nicht zwingend die Meinung der Redaktion wiedergeben.