Kritisch recherchieren, Tacheles reden
Wie geht gemeinnütziger Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im Journalismus. Diesmal: Kontext:Wochenzeitung.
Was ist das?
Die im Jahr 2011 gegründete Kontext:Wochenzeitung entstand aus einem medienkritischen Impetus: Den Anstoß lieferte der Umgang der Lokalpresse mit dem kontroversen Großprojekt Stuttgart 21, das bekanntlich zum Ziel hatte, einen neuen unterirdischen Hauptbahnhof für die baden-württembergische Landeshauptstadt zu bauen. Kontext wollte kritische Kontrapunkte setzen zu der als unzureichend und tendenziös wahrgenommenen Berichterstattung der Tageszeitungen aus dem Stuttgarter Pressehaus – und dies zweimal wöchentlich: mittwochs online und samstags gedruckt auf vier Seiten quasi als Regionalausgabe des großen Kooperationspartners aus Berlin, der alternativen Tageszeitung taz. Seitdem liefert das gemeinnützige Lokalmedium „Hintergrundberichte und keine kleinen Häppchen“, wie Ko-Gründerin Susanne Stiefel sagt: „Immer mit dem Wissen, dass es wichtig ist, die Community mit im Boot zu haben“. Der Publizist Jakob Augstein schrieb schon zum ersten Jahr des Bestehens: „Kontext ist für mich die publizistische Bühne für das Labor Baden-Württemberg, in dem sich künftige gesellschaftliche Entwicklungen herausbilden“ (Kontext:Wochenzeitung 2012).
Wer steckt dahinter?
Das Gründungsteam um Josef Otto Freudenreich (geb. 1950) und Susanne Stiefel (geb. 1957), beide ehemalige Chefreporter im Pressehaus Stuttgart, haben den Führungsstab längst an die nächste Generation weitergegeben. Seit April 2023 leitet Anna Hunger die mittlerweile zehnköpfige Redaktion. 2019 wurde sie mit einem Kontext-Artikel über rassistische Chat-Protokolle eines Mitarbeiters von zwei AfD-Landtagsabgeordneten für den Theodor-Wolf-Preis nominiert („,Sieg Heil‘ mit Smiley“). Die Redaktion hat flache Hierarchien, „da werden keine einsamen Entscheidungen gefällt, sondern alles im Team besprochen“, betont Susanne Stiefel in ihrer aktuellen Rolle als Beraterin der Redaktion. Die Aufgabenverteilung richtet sich hauptsächlich nach Themenschwerpunkten und Expertisen: Anna Hunger beobachtet die politische Rechte, Gesa von Leesen kümmert sich um Arbeitswelt und Gewerkschaftsthemen, Oliver Stenzel um Stuttgart 21 und historische Themen, Minh Schredle analysiert spaltende Lebensstandards in der Gesellschaft, und die beiden Ko-Gründer:innen Freudenreich und Stiefel üben Medienkritik.
Warum braucht es das?
Stiefel glaubt, dass nicht nur Kontext unverzichtbar ist: „Es braucht sogar noch viele ,Kontexte‘ mehr in unserer Medienlandschaft in Deutschland.“ Der erfahrenen Journalistin bereiten vor allem weitgreifende Sparmaßnahmen der Verlagswirtschaft große Sorgen, allen voran der Abbau von Stellen in den Redaktionen. „Ohne Journalist:innen kann es keine Zeitung geben, die braucht es, um einen gesellschaftlichen Diskurs zu ermöglichen, der kritisch ist, nachfragt, hinterfragt, der Zeit hat für Recherche und die Recherchen aufs Papier bringt.“ Zwar werde viel – auch online – experimentiert, doch Erfolg habe meist nur, was auf dem Niveau von Blaulicht und Rotlichtthemen bleibe. Nur Medienvielfalt und ein Journalismus, der genau hinschaue, kann nach Ansicht von Stiefel Meinungsbildung garantieren. Ein kleines Lokalmedium wie Kontext sei zwar nicht dazu imstande, die Berichterstattung eines großen Regionalverlags zu ersetzen, aber Akzente zu setzen habe auch einen Wert und treffe bei den Leser:innen einen Nerv.
Was ist das Besondere?
Tacheles reden, aber nicht auf dem Niveau von Wutbürger:innen, ist ein vorrangiges Ziel von Kontext: Neben der wöchentlichen Produktion der Online und Zeitungsausgabe pflegt die Redaktion den intensiven Austausch mit ihren Leser:innen – und Kritiker:innen. „Die Community ist unser Ansporn und unser Korrektiv, was aber nicht heißt, dass wir ihr nach dem Mund schreiben“, sagt Susanne Stiefel. Zum jährlich ein bis zweimal stattfindenden konstruktiven Schlagabtausch reisen Leser:innen bisweilen hunderte Kilometer nach Stuttgart, um die Redaktion kennenzulernen und ihre Anregungen, Lob und Kritik zu äußern.
Wie finanziert sich das?
Hinter dem Angebot steht der Kontext:Verein für ganzheitlichen Journalismus, der eigens gegründet wurde, um Kontext zu tragen. Finanziert wird die Redaktion durch Spenden der Leser:innen und Lizenzgebühren der taz für die Zulieferung der fertig produzierten Seiten für das Wochenende. Die finanzielle Unterstützung durch das Publikum hat einen Anteil von etwa zwei Drittel an der Gesamtfinanzierung. Das Geld fließt für Solidaritätsabonnements oder via Einzelspenden, meist zum Jahresende. Für ein Soli-Abo wird zwischen 10 und 50 Euro monatlich gezahlt. Eine Bezahlschranke gibt es allerdings nicht: „Wir wollen, dass unsere Geschichten gelesen werden. Die Leute schätzen das und honorieren das auch, vielleicht auch weil die Menschen in Baden-Württemberg etwas reicher sind als in anderen Bundesländern“, glaubt Susanne Stiefel. Die Unterstützung ihrer Leser:innen sei überlebenswichtig, auch bei juristischen Auseinandersetzungen, für die aus den Reihen des Publikums schon einmal 120.000 Euro in sechs Wochen zusammenkamen, um der Redaktion den Rücken zu stärken. Durch eine großzügige Einzelspende und zusätzliche Fördermittel einer Stiftung konnte zudem ein Volontariatsplatz realisiert werden.
Hat das Zukunft?
Bislang ist Kontext als gemeinnützig anerkannt, weil die Satzung die Förderung von Bildung, der internationalen Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur, des Völkerverständigungsgedankens und des demokratischen Staatswesens vorschreibt. „Deshalb gehen wir an Schulen, laden zu öffentlichen Veranstaltungen ein, nehmen an Podiumsrunden teil“, erklärt Susanne Stiefel. Das gehe zwar konform mit der redaktionellen Überzeugung, dass diese Debatten für die Demokratie wichtig seien, doch wünscht sich die Stuttgarter Redaktion eine Stabilisierung der Gemeinnützigkeit hinsichtlich ihres journalistischen Kernbereichs. Langfristig müsse eine größere Debatte geführt werden, auch über staatliche Förderung, so Stiefel, um der Medienkonzentration eine Vielfalt unabhängiger, freier und kritischer Medien entgegenzusetzen.
KONTEXT:WOCHENZEITUNG
Gründung: 2011
Unternehmensform: Eingetragener Verein
kontextwochenzeitung.de
Foto: Jens Volle
Nonprofit-Pionier:innen
Die Wüste lebt: Pionier:innen arbeiten bereits an ihrer Version von gemeinnützigem Journalismus. Wie sieht das in der Praxis aus? Wir beleuchten in dieser Serie bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im deutschsprachigen Journalismus.