Superhelden im Kleinformat

Wie geht gemeinwohlorientierter Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Innovations-Projekte im Journalismus. Diesmal: „Was krabbelt da?“

Was ist das?

Für die Macher von Was krabbelt da? sind Honigbienen, Schwebfliegen, Königslibellen, Palpenmotten, Warzenbeißer und Wanzen „die heimlichen Herrscher dieser Welt“. Es ist folgerichtig, dass Redaktionen mithilfe ihres innovativen Technik-Tools „auf neuartige Weise über Biodiversität direkt vor der Verlags-, der Sender- oder der Redaktionstür zu berichten“, verrät Projektleiter Joachim Budde. Um neue journalistische Narrative über Insekten zu erzeugen, stellt der Bonner Wissenschaftsjournalist in Gärten selbstgebaute Kamerafallen auf, um Krabbeltier auf einer künstlichen Blumenwiese zu filmen: „Krabbelt ein Insekt darüber, erkennt und verfolgt die Kamera das Tier. Ein Mini-Rechner speichert die Daten. Eine künstliche Intelligenz bestimmt die Tiere.“

Wer steckt dahinter?

Der 51-Jährige Budde ist federführend für das Projekt, er arbeitet für öffentlich-rechtliche Medien, überregionale Zeitungen und betreibt bei den „RiffReportern“ seit 2019 mit Geziefer ein „Recherche-Kollektiv für Insektenfans“. Das Krabbel-Team umfasst neben Budde: die Wissenschaftsjournalistin Sigrid März mit Spezialgebiet Insekten, der Innovationskopf Jakob Vicari und Coderin Theresa Hradilak. Wissenschaftlich beraten werden sie von Max Sittinger, Postdoc am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Halle-Jena-Leipzig, der die spezielle Kamera Insect Dete dafür entwickelte.

Warum braucht es das?

Der Mehrwert liegt im Auge des Betrachters: Man könnte derlei Technologieexperimente als „Gedöns“ abtun, aber das greift zu kurz. Denn Geziefer und Klimakrise hängen zusammen, wobei die drohende „Biodiversitätskatastrophe“ laut Budde nicht weniger fatal ist: „Man kann die Bedeutung von Insekten und deren Lebensräume gar nicht überschätzen“, sagt der freischaffende Journalist. Ins Konstruktive gesprochen: Wenn wir die Biodiversität der Natur besser im Griff hätten, wäre schon einiges fürs Klima getan. Budde ist deshalb daran gelegen, mit dem Projekt hautnahe Geschichten über Insekten zu erzählen, um eine Win-win-Situation zu schaffen: für Flora, Fauna – und Gesellschaft.

Was ist das Besondere?

Eigentlich alles: Von der technologischen Versuchsanordnung über das interdisziplinäre Team bis zu innovativen lokaljournalistischen Formaten wie Krabbel-Live-TV strotzt das Vorhaben vor Originalität. Charmant ist auch die Erzählidee, Kriechtiere zu Superhelden zu erklären – weil sie kritische Rollen im Ökosystem übernehmen. „Insekt des Jahres“ 2025 ist etwa die Holzwespen-Schlupfwespe, deren Job es ist, Larven von schädlichen Holzwespen zu fressen: Die baumrettende Taillenwespe mit dem Fachnamen Rhyssa persuasoria wurde von der Forstwirtschaft sie daher zur Superheldin im Kleinformat gekürt.

Wie finanziert sich das?

Das MIZ, ein R&D-Lab der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, lobt seit vielen Jahren Fördertöpfe aus, um unkonventionelle Projekte auf die Beine zu stellen: Für zehn Monate konnten Budde und sein Team auf eine öffentliche Finanzierung von 40.000 Euro des Programms „Medienprofis“ (mindestens fünf Jahre Berufserfahrung) zugreifen, zuzüglich eines verpflichtenden 20-prozentigen Eigenanteils. Selbstredend decken solche Kleinsummen nicht sämtliche Kosten ab, die etwa für Technik, IT, Website, Honorare und Abrechnungswesen anfallen. Insofern, das gibt Budde unumwunden zu, war auch einige Selbstausbeutung im Spiel. Andererseits: Wer, wenn nicht die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten sollten derlei Innovationsvorhaben fördern, wo sich – zumindest im ersten Entwicklungsschritt – nicht gleich alles um Renditen und Reichweiten dreht?

Hat das Zukunft?

„Bislang ist das Interesse bei Redaktionen noch sehr begrenzt“, sagt Budde. Und natürlich haben Insekten nicht den Nachrichtenwert eines Nahost-Kriegs oder eines „Schlag den Raab“-Spektakels. Doch gilt das weltweite Massenartensterben als eine der größten Bedrohungen für die Menschheit, die durch solche Projekte stärker ins Bewusstsein rücken könnten. Und so mag die Aussage eines Chefredakteurs, mit dem das Team kooperieren wollte, eher verwundern, dass Insekten „zu weit von den Menschen entfernt sind“. Vielmehr ist es genau andersherum: Fast nichts kommt uns Menschen physisch so nahe wie alles, „was da krabbelt“. Budde: „Wir strecken weiter unsere Fühler aus.“

Was krabbelt da?

Laufzeit: 2023-2024

Unternehmensform: Projekt

https://waskrabbeltda.de/

„Was krabbelt da?“ wird gemacht (v.l.) von Sigrid März, Joachim Budde, Jakob Vicari und Coderin Theresa Hradilak. Beraten wird das Team von Maximilian Sittinger (r.).

Foto: Claudia Titze

Stand: Juli 2025

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Published On: 1. Juli 2025