Für die gute Sache

Wie geht gemeinnütziger Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im Journalismus. Diesmal: Veto.

Was ist das?

Bei Veto ist der Name Programm: Das Team des stiftungsgeförderten „Magazins für Protest und Verantwortung“ will Einspruch erheben. Seine Macher:innen greifen Themen wie Alltagsrassismus, sexualisierte Gewalt und Behinderung auf – und bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen Journalismus und Aktivismus. Die Druckausgabe kam seinerzeit im wattierten Umschlag. Beigelegt ein kurzer Brief. „Viel Spaß beim Lesen“ stand dort, dahinter hat der Absender mit blauem Kuli ein Herzchen hingekritzelt. Um es vorwegzunehmen: Es geht nicht um das gleichnamige Tierschutzmagazin Veto, sondern um die inzwischen nur noch online erscheinen-de Zeitschrift aus Dresden. Veto will ein Sprach-rohr für die „Mutigen und Engagierten in diesem Land“ sein. „Ihr seid nicht allein!“ lautet die Botschaft „an alle Gleichgesinnten da draußen“, die sich auf den Weg gemacht haben, die Demokratie wiederzubeleben: So lautete zumindest der Pitch für das Crowdfunding, das im Frühjahr 2020 startete: 11.119 Euro von 380 Unterstützen-den kamen dabei zusammen – seinerzeit ein Branchenerfolg. Bis Sommer 2022 wurden zehn Magazine produziert und „mehr als 150 inspirierende Geschichten aktivistischer Menschen erzählt“, heißt es auf der Website.

Wer steckt dahinter?

Zum Redaktionsteam gehören Susanne Kailitz und Tom Waurig, die sich Redaktionsleitung und Geschäftsführung teilen, und Fotograf Benjamin Jenak, verantwortlich für Bildredaktion. Für das Heft schreiben neben Kailitz und Waurig weitere Autor:innen, von denen viele einen ostdeutschen Hintergrund haben. Auch die Gründer haben Wurzeln im Osten: Kailitz studierte und promovierte zum Thema „Ideologie und politische Gewalt“ an der TU Chemnitz und wurde 1977 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren. Ihr Geschäftspartner Waurig, Jahrgang 1990, wächst im sächsischen Kreba-Neudorf auf und lebt später in Pirna, von wo aus er bei Jugendprojekten in der politischen Bildung arbeitet. Diese geographische und berufliche Herkunft schweißt die beiden zusammen: 2017 lernen sie sich über das Couragiert-Magazin des Dresdener Vereins Aktion Zivilcourage e. V. kennen, dessen Chefredakteur und Initiator Waurig ist. 2018 machen sie sich von dort selbstständig und gründen mit der Rederei eine gemeinnützige Kommunikationsagentur, die inzwischen auf 15 Mitarbeitende angewachsen ist.

Warum braucht es das?

Demokratie zu fördern, heißt für Veto, über zivilgesellschaftlich Engagierte zu berichten, sie da-bei aber auch aktiv(istisch) zu unterstützen: „Wir begleiten Menschen, die überzeugt sind, dass sich die Welt verändern lässt“, sagt Waurig. Kailitz ergänzt: „Wir sorgen dafür, dass Engagement die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient, indem wir die Geschichten dieser Leute erzählen.“ Das Ostdeutsch-Sein hat ihnen ein Gespür dafür vermittelt, was jenseits der Hauptstadt und des westdeutschen Mainstreams in diesem Land schiefläuft: Rassismus, Pegida, AfD, Hass und Hetze – der Neonazi-Sumpf hat sie motiviert, ihrem publizistischen Wirken einen neuen Sinn zu geben: „Veto ist eine Haltungsfrage“, sagt Kailitz und erklärt, warum Waurig und sie das Projekt ins Leben gerufen haben: „Wir sehen einige grund-legende gesellschaftliche Entwicklungen hier in Sachsen und im ganzen Land kritisch und wollen nicht, dass das einfach immer weitergeht. Des-halb haben wir irgendwann gesagt: Wir müssen ein Veto einlegen, denn so eine Geisteshaltung darf nicht unwidersprochen bleiben!“

Was ist das Besondere?

Veto bildet Engagement unterschiedlicher sozialer Bereiche ab – und will denjenigen, die sich ehrenamtlich einbringen, Gehör verschaffen. Die Redaktion selbst schreibt ihren Ansatz dem konstruktiven Journalismus zu, die Übergänge zum journalistischen Aktivismus sind fließend, frei nach Karl Marx: Journalist:innen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber da-rauf an, sie zu verändern. Waurig sagt, dass es ihm und dem Team darum gehe, „Menschen zu finden, die in anderen Medien nicht so präsent sind“. Ihr Ziel, der Arbeit von Progressiven mehr Sichtbarkeit zu verleihen und darüber neue Debatten anzuregen, „um zu zeigen, wie notwendig ihre Ideen sind“, wird von Veto konsequent eingelöst: Durch die Kolumnen, Essays, Reportagen, vor allem die Porträts fließt viel Herzblut. Es wird nicht lange gefackelt und herumgeeiert, sondern Klartext gesprochen: Vor allem geht es in den Beiträgen um Menschen, die sich für mehr Toleranz und gegen jegliche Form der Diskriminierung engagieren, ob für Antifaschismus, Antirassismus, Antisexismus oder Antiableismus.

Wie finanziert sich das?

Einsatz gegen Benachteiligung scheint einige Förderer zu überzeugen: Schöpflin Stiftung, Zeit-Stiftung, GLS Treuhand, Amadeu Antonio Stiftung, sogar das Presse- und Informations-amt der Bundesregierung gibt seit der Gründung von Veto Geld. Ein Mix aus Crowdfunding, Stiftungsförderung, Anzeigen- und Heftverkauf sowie Abonnements brachte der gemeinnützigen Unternehmergesellschaft zeitweise einen niedrigen sechsstelligen Umsatz pro Jahr. Dass das gedruckte Heft eingestellt worden ist, macht den Broterwerb nicht gerade leichter, ein bisschen Phantomschmerz ist den Blattmacher:innen anzumerken, wenn Kailitz betont: „Dafür erscheinen zweimal wöchentlich neue Texte, die auch intensiv auf Social Media bespielt werden. Wir konnten seither unsere Reichweite deutlich steigern. Da es uns darauf ankommt, die Leute bekannter zu machen, war die Entscheidung, die primär aus Kostengründen getroffen wurde, aus heutiger Sicht genau die richtige, weil wir jetzt unser Anliegen noch wirksamer verfolgen können.“ Dass es sich um kein nachhaltiges Geschäftsmodell handelt, ist beiden schon zu Beginn ihres unternehmerischen Abenteuers klar: Deshalb freuen sich Kailitz und Waurig, dass sie 2021 über das Bundesförderprogramm „Demokratie leben“ das hochdotierte Medienkompetenzprogramm „spreu X weizen“ einwerben konnten. Umsatzrelevanter geworden ist seitdem aber vor allem die an das Unternehmen gekoppelte Rederei gUG, die auch Herausgeberin von Veto ist. Die Agentur spielt Einnahmen mit Beratungsprojekten für politische Bildung ein und hält Beratungsmandate von zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Organisationen inne, mit denen sich nach eigenen Angaben ein Vielfaches der Magazinumsätze erwirtschaften lässt.

Hat das Zukunft?

„Journalismus mit Haltung“ lautet die Devise: Die Redaktion will nicht nur aufklären, sondern zu mehr Engagement motivieren. Mit einer erhöhten Sichtbarkeit von Reizthemen wie Alltagsrassismus, Behinderung und sexueller Gewalt will Veto die Gesellschaft nicht nur abbilden, sondern sie auch verändern. Chefredakteur Waurig kauft man Sätze wie „Sich mit etwas gemein machen ist okay“ und „Aktivisten brauchen eine starke Stimme“ schon deshalb ohne Weiteres ab, weil er mehr als zehn Jahre bei einer Anti-Rechts-Initiative in der Sächsischen Schweiz gearbeitet hat. Dass sich Veto selbst auf sehr schmalem Grat zum Aktivismus befindet, stört die Macher:innen keineswegs: Kailitz glaubt ohnehin nicht daran, „dass es einen neutralen Journalismus geben kann“. Schon bei der Themenwahl oder der Wahl der Gesprächspartner:innen sei keine Neutralität gegeben: „Objektivität ist im Journalismus schlicht nicht möglich, wir sind niemals neutral“, sagt sie. Auf den Einwand, dass es als unjournalistisch gilt, die Gegenseite nicht zu Wort kommen zu lassen, entgegnet sie, sie könne den Vorwurf nachvollziehen. Es folgt ein großes Aber: „Wir haben einen sehr personalisierten Ansatz, da gibt es in vielen Fällen schlicht keine Gegenseite, die gehört werden müsste. Konkret: Wenn wir über engagierte schwarze Menschen schreiben, müssen wir nicht auch einen Nazi zu Wort kommen lassen, der nichts für andere tut.“ Sie verweist auf das Grundgesetz: „Das finden wir ziemlich klasse. Und wenn wir uns eine Haltung gönnen, arbeiten wir trotzdem journalistisch sauber und halten uns an die Grundregeln“

VETO

Gründung: 2018
Unternehmensform: gUG
veto-mag.de

Foto: Benjamin Jenak

Nonprofit-Pionier:innen

Die Wüste lebt: Pionier:innen arbeiten bereits an ihrer Version von gemeinnützigem Journalismus. Wie sieht das in der Praxis aus? Wir beleuchten in dieser Serie bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im deutschsprachigen Journalismus.