Kooperation statt Konkurrenz

Wie geht gemeinnütziger Journalismus in der Praxis? Wir beleuchten bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im Journalismus. Diesmal: „Vocca“.

Was ist das?

Der Prototyp aus dem Hause WDR mit dem eigenwilligen Namen Vocca (ein Wortspiel aus „Voice“ und „Mocca“) zeigt, wie KI im Journalismus eingesetzt werden könnte: als Bündnis aus menschlicher Redaktion und smarter Technologie. Konkret heißt das: Die Vocca-App bringt personalisierte Lokalnachrichten, die von einer synthetischen Stimme gesprochen werden (Text-to-Speech). Innovativ ist das zudem, weil die App Inhalte von Lokalverlagen sowie von öffentlich-rechtlichen und privaten Radiosendern auf einer „offenen und kooperativen Journalismus-Plattform“ zusammenführt.

Wer steckt dahinter?

Ausgedacht hat sich das Konzept Tobias Lammert, Geschäftsbereichsleiter Marketing & Vertrieb bei der WDR Mediagroup. Die Partner und Inhalte-Lieferanten aus allen Regionen von NRW sind schon in der Betaphase beachtlich: Neben WDR etwa „Neue Westfälische“, „Die Glocke“, „Mindener Tageblatt“, Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dazu über 30 Lokal-radiosender wie Radio Antenne Düsseldorf, Radio Erft, Radio Westfalica und auch digitale Angebote wie „Rums“ aus Münster. Gesteuert wird das Projekt von einem Konsortium aus der Betriebsgesellschaft für den NRW-Lokalfunk Audio Media Service, dem Technologie- Start-up 1PTA und der kommerziellen WDR-Tochter Mediagroup.

Warum braucht es das?

„Es gibt eine viel zu große Zahl von Inhalten und Angeboten, Auswahl und Orientierung sind unglaublich anstrengend geworden“, sagt Lammert. Die Bevölkerung mit qualitätsjournalis-tischen Inhalten auf herkömmlichen Wegen zu erreichen, werde schwieriger. Vocca soll hier zum Aggregator werden, „der einen schnellen Überblick verschafft und auch die Funktion eines Butlers übernimmt – der einen schnell bedient, aber auch überraschende Empfehlungen geben kann“. Zudem eint die Beteiligten die Überzeugung, dass „wir eine starke Zukunft in der Zusammenarbeit von Medienhäusern sehen, im Miteinander, nicht im Gegeneinander.“ Nach dem Motto „Kooperation ist King“ setzt er sich für starke Allianzen in NRW ein und glaubt, es brauche „weniger Protektionismus“, um der Konkurrenz globaler Tech-Plattformen etwas entgegenzusetzen.

Was ist das Besondere?

Allein die Idee einer Plattform-Kooperative unterschiedlichster Medien ist in Deutschland immer noch radikal. Man denke nur an den Streit zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern um die digitalen Textangebote der Anstalten. Viel spricht aber dafür, dass dieser kooperative Ansatz zukunftsweisend sein könnte. Auf der technologischen Ebene überzeugt der Mix aus synthetisch-menschlichem Hörerlebnis. Auch die praktische Personalisierung – etwa bei Themenfeldern wie Buchtipps, Horoskop, Top-Storys, Wetter, Freizeit – weist direkt in die Zukunft des digitalen Journalismus.

Wie finanziert sich das?

Aktuell finanziert sich das Projekt über öffentliche Fördergelder – zum einen durch das Innovationsförderprogramm der Landesmedienanstalt NRW, zum anderen durch Fördermittel der Verwertungsgesellschaft Rundfunk aus Österreich. „Fördergeld allein wird uns aber nicht über Mitte 2024 hinaus finanzieren“, sagt Lammert. Deshalb suche er – siehe nächste Frage – „derzeit aktiv nach weiteren Finanzierungsmodellen und strategischen Partnerschaften“. Für teilnehmende Verlage soll Vocca wiederum Zubringer für deren Bezahlangebote werden.

Hat das Zukunft?

„Wenn wir weitere Förderer, Investoren und Inhalte-Partner begeistern und überzeugen, definitiv Ja!“, sagt Vocca-Leiter Lammert und räumt ein, dass alles von der Finanzierung abhängt. Er ist sich seiner Sache allerdings sicher: Er und sein Team stünden zwar erst am Anfang, ihr Ansatz habe aber große Attraktivität. Das merke er etwa in Gesprächen mit politischen Stakeholdern. Als Geschäftsmodell lotet er nun Optionen aus – von der Wandlung des Projekts in eine gemeinnützige Körperschaft bis zur Genossenschaft sei vieles denkbar. Nur ein Crowdfunding, erklärt Lammert, das möchte er sich lieber nicht antun.

VOCCA

Gründung: 2023 (unter dem Arbeitstitel Voyager 2021 gestartet)
Unternehmensform: GmbH
vocca.audio

Foto: WDR

Nonprofit-Pionier:innen

Die Wüste lebt: Pionier:innen arbeiten bereits an ihrer Version von gemeinnützigem Journalismus. Wie sieht das in der Praxis aus? Wir beleuchten in dieser Serie bestehende und in Gründung befindliche Nonprofit-Projekte im deutschsprachigen Journalismus.